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Outing S.

In „Sein erstes Mal“ portraitierte ich S., der anonym bleiben wollte. Heute, anlässlich des World Bipolar Day, hat er mir geschrieben, würde er er sich outen. Öffentlich machen also, woran er leidet und wer er ist. Damit das verdammte Tabu fällt, über psychische Krankheiten zu sprechen.

Hier ist sein Text, den er heute auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht hat. Ich teile ihn in der grossen Hoffnung, dass sein Vorbild Schule mache unter all denen von uns, die es mit ihrer Kraft vereinbaren können, offen über ihre Krankheit zu sprechen.
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„Nie hätte ich gedacht, dass ich in meinem Leben nochmals ein Coming-out durchmachen würde. (Abgesehen von den vielen kleinen Coming-outs des täglichen Lebens – „Nein ich habe keine Freundin; ich liebe Männer.“) Aber heute, am #WorldBipolarDay, ist es so weit:

Ich gehöre zu den rund 51 Millionen Menschen weltweit, die unter einer Bipolaren Störung leiden, einer oft schwerwiegenden psychischen Krankheit, die sich durch abwechselnd depressive und manische Phasen auszeichnet (daher die ehemalige Bezeichnung „manisch-depressive Erkrankung“). Die Stimmungswechsel werden oft mit dem geflügelten Wort „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“ aus Goethes „Egmont“ beschrieben – wie passen für mich als Autor.

Die Bipolare Störung gehört laut WHO zu den zehn Krankheiten, die weltweit am meisten zu einer dauernden Behinderung führen. Zudem können beide Phasen gefährlich sein, und es verwundert nicht, dass ebenfalls laut WHO etwa 90% der Menschen, die einen Suizid verüben, zum Zeitpunkt ihres Todes an einer psychiatrischen Erkrankung, insbesondere an einer affektiven Störung wie der Bipolaren Störung leiden.

Aber keine Sorge, dieser Text ist kein Hilfeschrei. Und auch kein Aufklärungstext. Denn wie es ist, mit dieser Krankheit zu leben, dafür fehlt hier der Platz. Wie auch für Exkursionen ins Thema Medikation und deren Nebenwirkungen. Oder wie es ist, mitten in einer suizidalen Phase vom Partner verlassen zu werden. Oder wie man von einem manischen Höhenflug nie mehr runterkommen will und seine Psychiaterin anfänglich dafür hasst, dass sie die Landung medikamentös erzwingt. Oder wie es ist, wunderbare Freunde und Retter zu haben, die oftmals besser Bescheid wissen, wie es einem geht, als man selber.

Wer sich für all das interessiert, kann zum Beispiel mit dieser Seite anfangen: http://swiss-bipolar.ch – oder mich direkt anhauen per PM.

Nein, dieser Text verfolgt nur ein Ziel: Sichtbarkeit zu schaffen. Denn obwohl es – wie die Geschichte uns lehrt – gefährlich und falsch ist, Homosexualität und psychische Krankheiten in einen Topf zu werfen, haben sie doch eines gemeinsam: Beide werden sie weiterhin stigmatisiert und/oder tabuisiert. Und genau so, wie ich mich vor über 20 Jahren entschied, gegen die Stigmatisierung meiner Sexualität anzukämpfen, entscheide ich mich heute, dasselbe zu tun bezüglich meiner – teils schweren, teils einsichtsreichen – psychischen Erkrankung.

Ich freue mich über alle, die weiterhin mit dabei sind.“

Simon Froehling.

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