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Banane, Duct Tape, Millionär.

Hoffentlich hilfreiche Vorbemerkung:

Dieser Text wurde verfasst und live vorgetragen im Rahmen einer Veranstaltung von «Creative Mornigns», zu der ich als Speaker zum Thema “Crossroads” eingeladen wurde. Statt eine Keynote zu halten, klebte ich mit rosa Duct Tape eine Banane ans Fenster des Theaters, in dem ich früher einmal produziert hatte und heute über Kreuzungen sprach. Ich erwähnte die 6,2 Millionen Dollar, die die Idee der an die Wand geklebten Banane scheinbar wert war, erzählte ein bisschen was von der Schwierigkeit, den eigenen Ideen einen Wert zu geben und von Kunstunis, die bis heute viel zu wenig drüber lehren, dass Kunst ein Markt ist, in dem man sich behaupten und verkaufen muss. Im Anschluss las ich den folgenden Text vor, den ich in den Tagen zuvor geschrieben hatte, statt meine eigentliche Arbeit zu machen.

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CROSSROADS.

1.

Ich habe schon immer gern Geschichten erzählt. 

Während in irgendwelchen Hinterzimmern, die ich nie von innen sehen werde, Menschen, deren Namen ich nie kennen werde, Weltbewegendes entscheiden, während nicht weit von mir entfernt Bomben und Börsenkurse fallen, während das Klima kollabiert und KI mich überflüssig werden lässt, sitze ich wieder mal an meinem Schreibtisch und frage mich, was eigentlich aus mir geworden ist. Warum ich aufgegeben habe, worin ich einmal gut war und was ich liebte.

Natürlich spreche ich vom Lügen. Nicht von dem, das irgendjemandem gross schadet. Sondern vom Lügen, das das Leben interessanter macht, aufregender, lebendiger. Lügen, die es anreichern um die Elemente, die für eine gelungene Geschichte nunmal wichtig sind. Lügen, die kaschieren, was zu alltäglich ist. Und wem schadet es, wenn das Auto sich ein paar Mal häufiger überschlägt als es tatsächlich der Fall war? Wer stört sich wirklich dran, wenn eine Frau etwas berühmter, ein Mann etwas betrunkener oder der aggressive Hund etwas wütender war als in Wirklichkeit? 

Ich erfand Geschichten, lange bevor ich selbst eine interessante Story über mich erzählen konnte. Stattdessen machte ich mich zur Figur in meinen erfundenen Geschichten, spielte Haupt- und Nebenrollen in editierten Wahrheiten und optimierten Wirklichkeiten, mit denen ich mein Umfeld manipulierte. Ich wurde zum Erzähler vieler Varianten meiner selbst, ohne mir selbst dabei je vertraut zu sein. Ich bin mein erstes literarisches Experiment, gewissermassen. 

2.

Kunst hat mich nie wirklich interessiert, ich wollte einfach raus aus der Unsichtbarkeit. Zu schreiben war für mich nie Hobby, Berufung oder Leidenschaft. Es war mein Fluchtweg. Mein Ventil, das eine Implosion verhindern half. Ich kritzelte Notizbücher voll auf der Suche nach einem liebenswerten oder lebenswerten oder wenigstens mit irgendeinem verfluchten Plan ausgestatteten Ich. Was sollte das schon wert sein?

Theater zu machen war die einzig logische Berufswahl für einen längst nicht mehr auffindbaren 20jährigen, der eine Hutablage für sein zerstörerisches Suchtverhalten, seine panische Unfähigkeit, Strukturen und Hierarchien zu akzeptieren und seinen dreisten Hang zur Lüge brauchte. Wie bepreist man den Versuch, sich selbst zu retten?

3. 

Eher zufällig landete ich in der Küche eines neu eröffneten Delikatessenladens, der auch ein bisschen feines Restaurant sein wollte. Gerade erst hatte ich es aus meiner illegal besetzten Wohnung im 5. Stock einer leerstehenden Berliner Abrissbude herausgeschafft. Statt in den düsteren Hof, in dem die Junkies aus dem Wedding Bleche rauchten und ihre Geschäfte erledigten, schaute ich nun in den begrünten Hinterhof einer Wohnung an der Kollwitzstrasse, für die ich plötzlich Miete zahlen musste.

Ich brauchte also dringend Geld und heuerte im besagten Laden ein paar Häuser weiter an. Man gab mir eine Chance,verfrachtete mich aber direkt in die Küche, angeblich weil es gerade an Köchen mangelte, vermutlich aber eher, weil man mir zu sehr ansah, wie es um mich stand. Die Kundschaft im Prenzlauer Berg war schon nicht mehr dieselbe wie im Wedding oder in Neukölln, wo niemand bemerkte, wenn der morgendliche Chai Latte von einem Untoten serviert wurde. 

Man gab mir eine saubere Schürze, ein scharfes Messer und ein paar vage Instruktionen. Dann hatte ein paar Wochen Zeit, die zwölf Gerichte auf der Karte nachzukochen. 30, 40 Gäste täglich tröpfelten zu Beginn meiner Laufbahn in diesen Laden. Zwei Lobeshymnen relevanter Magazine später waren es plötzlich hunderte am Tag. So lernte ich 20 Liter Gulasch kochen, Salat für hundert Mäuler rüsten und 4 Engadiner Nusstorten gleichzeitig zu backen, ohne allzusehr aus der Ruhe zu geraten, wenn eine neue Busladung Touristen durch die Ladentür quoll. 

Die Küche war ein Ort, an dem ich mich zum ersten Mal zuhause fühlte. Das permanent hohe Stresslevel kam einer meiner damals noch nicht diagnostizierten Störungen entgegen: je stressiger es um mich herum wird, desto entspannter werde ich. Dopamin ist für mich ein wirksames Beruhigungsmittel. 

So schnitt ich mir also fast schon zufrieden in die Finger, verbrannte mich, schob schwitzend 16-Stunden-Schichten, trank zu schnell viel zu viele Feierabendbiere, verliebte mich in eine der Bedienungen, zog mit ihr zusammen, dachte zum ersten Mal, mein Leben könnte doch noch irgendwie gelingen, entliebte mich und beschloss an einem Montag, Schluss zu machen mit all dem. Am Freitag drauf sass ich mit allem, was ich besass, im einem Miettransporter und überquerte die Grenze in ein anderes Land, um dort neu anzufangen. Ein Freund lotste mich über eine grüne Grenze und ich verstaute mein Leben in seinem Keller. Den leeren Transporter parkte ich in einer Seitenstrasse und liess die Schlüssel stecken. Schliesslich hatte ich eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen.

4.

Ein Jahr, nachdem ich das 9 Quadratmeter grosse Mansardenzimmer ohne Bad und Klo bezogen hatte, hängte ich das Theater an den Nagel. 20 Produktionen hatte ich in sechs Jahren auf eher kleine Bühnen gehievt, ein gutes Dutzend Stücktexte geschrieben. Keiner davon verkaufte sich, ich verdiente nichts mit der ganzen Plackerei, mit den Nächten am Laptop, den endlosen Zugreisen und dem Applaus, den wir manchmal bekamen. Mein Dasein als Theatermacher war so schillernd wie ein Kölner Bahnhofsklo am Sonntagmorgen – und die Schuld daran trug alleine ich. 

5. 

Rückblickend ist es einfach, die Splitter einer Biografie zu einem hübschen Mosaik zu arrangieren. Im Grunde könnte ich häufiger diese heldenhafte Version von mir erzählen. Die vom kreativen Kopf, der es nach einem Schlenker durch die Kunst in einem fremden Land als Unternehmer schafft. Natürlich ausgeschmückt mit hübschen Hindernissen, ein bisschen Sucht, ein bisschen Trauma, ein bisschen Delinquenz und ungesunde Liebe. 

Aber nichts ist unglaubwürdiger als Erfolgsgeschichten, die nicht den Dreck an den Schuhen mit erzählen, der bei jedem Aufstieg hängen bleibt. Nichts ist schwächer als die Abwesenheit von Schwäche. 

Die meisten biegen ab, weil sie müssen. Weil alle irgendwann irgendwohin abbiegen und auf irgendetwas zusteuern, was angeblich wert ist, erreicht zu werden. Manche sitzen dabei nicht einmal am Steuer, sondern lassen sich von dem, was sie Schicksal nennen, irgendwo hin kutschieren, bis sie in ihrer ganz persönlichen Sackgasse landen, aus der herauszufinden zum roten Faden ihres Lebens wird.

Die ersten 30 Jahre meines Lebens sind eine Aneinanderreihung solcher Sackgassen, in denen ich mehr oder weniger zufällig gelandet bin. Einige Strassen habe ich eigenhändig zugemauert, um mich am Vorwärtskommen zu hindern. Ich wusste häufig nicht nur nicht, wohin es gehen sollte, sondern war mir nicht einmal sicher, ob noch jemand die Hände am Lenkrad hatte.

6.

Hätte ich damals Geld verdient mit meinen Texten, wäre das für mich Beweis fehlender Integrität und Authentizität gewesen. Denn gute Texte tragen den Wert nicht in ihrer Präsentierbarkeit, sondern in einer gnadenlosen Ehrlichkeit und Konsequenz, die weh tun muss, die verstört und sich deswegen nicht verkauft. Denn was nicht weh tut, kann nicht wahr sein, und was nicht wahr ist, kann nicht gut sein, und was nicht gut ist, hat nicht verdient, belohnt zu werden. 

7.

Die Wirklichkeit überflutete mich in Form von Geldnot und Panikattacken. Ich ersoff in meiner selbstgekochten Brühe aus Verachtung und wütendem Neid auf die, die mehr Erfolg mit ihrem Schreiben, mit ihrem Leben hatten. Ich war mir treu geblieben und hatte dadurch alles, was mir etwas bedeutete, vergiftet. 

Ich war fertig mit der Kunst.
Oder die Kunst fertig mit mir. 
Jedenfalls trennten wir uns mit der Intention, nie wieder miteinander im selben Bett zu landen. Uns nie wieder an derselben Kreuzung zu begegnen.

Aber wie es so ist in alternden Beziehungen, sind Trennungen häufig nur der unbeholfene Anfang eines neuen Abschnitts. DIE Phase, in der eine der an einer Beziehung beteiligten Parteien sich der heimlichen Affäre mit sich selbst zuwendet und feststellt, dass da niemand mehr ist. 

8.

Man hat mich eingeladen, in diesem Rahmen etwas zum Thema Crossroads zu erzählen. Einige von Ihnen kennen mich. Früher habe ich Theater gemacht, heute unterstütze ich Kunden in den Bereichen strategische Kommunikation und digitale Transformation. Mein Werdegang mag auf manche etwas ungewöhnlich wirken, aber es gibt da einen roten Faden, der alles, was mich hierher geführt hat, verknüpft:

Ich habe schon immer gern Geschichten erzählt.

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Möglicherweise interessante Schlussbemerkung: 

In der anschliessenden Diskussion mit dem Publikum ging es vor allem um die Frage, welche Rolle Glück spielt im künstlerischen Erfolgsprozess, wie man die findet, die das eigene Werk spiegeln und einem helfen können, ihm einen Wert zuzuschreiben und warum Storytelling etwas ist, das man vor allem auch auf sich selber anzuwenden lernen sollte: Die Geschichte, die wir uns über uns selbst erzählen, ist das, was wir Identität nennen – und die ist bis zu einem gewissen Grad modellierbar wie ein Roman, an dem man schreibt.

Christian Hansen speaks in front of an audience, holding the manuscript of his short story he will shortly be reading.
© 2025 Lisanne Vreeke for Creative Mornings Basel

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