Ab und zu ist es hier oder da aus mir herausgeplatzt. Dann habe ich mir die Hand am Schrank gebrochen, gegen den ich schlug.
Mit Menschen kann ich so nicht umgehen. Kann mich nicht streiten, weil ich mich zurücknehme, mich selbst zensiere und immer, bevor ich meine eigenen Bedürfnisse in die Schlacht führe, die Bedürfnisse der anderen, meiner Streitgegner, vorweggenommen habe. Ich suche mir und meinen Bedürfnissen einen Platz, da wo die Bedürfnisse der anderen ihren schon eingenommen haben. Die Freiheiet des einzelnen endet da, wo die des anderen beginnt. Ich weise jedem seine ihm zustehende Freiheit zu und bewege mich im Raum, der mir bleibt. Mir selbst weise ich den kleineren Raum zu, ich nehme vorweg, was sich in der Auseinandersetzung ergeben könnte, zu meinen Ungunsten, meist. Ich kann mich nicht streiten, weil ich es nie gelernt habe. Widerworte waren verboten.
Lange Zeit habe ich mich bis zur Handlungsunfähigkeit zugeknallt mit diesem Zeug, morgens angefangen, den ganzen Tag hindurch bis spät in die Nacht. Sieben, zehn, fünfzehn Joints am Tag. Zwischendurch Bongs, zehn, zwanzig Köpfe am Tag. Drei, vier, fünf Gramm Hasch in die Hinrwindungen geschraubt, nur damit Ruhe ist. Um mich zu bändigen. Wie einen Tiger, den man zum Zoo bringt, habe ich mich sediert, in der Angst, ich könnte sonst womöglich jemanden zerfleischen. Mich? Ich habe mich von mir selbst in die Enge treiben lassen. Dies Gefühl ist mein Leben: in die Enge getrieben zu sein.
Ich weiß, von wem ich die Tendenz dazu habe, Druck in mir anzustauen, ihn zurückzuhalten, aus Angst, er könnte jemanden verletzen, während ich ihn ablasse.
Ich erwarte Großes von mir, entdecke aber nur schäbige Kleinigkeiten in meinen Taten, Ideen, Gedanken.
Ich lasse mich gern liegen. Ich gehe an keinem Penner vorbei, der im Suff rücklings über eine Bierbank gestolpert ist. Ihm helfe ich auf, habe aufmunternde Worte, spende ein kleines bisschen Herz. Mir selbst gegenüber – bin ich ein Nazischwein. Hab nicht viel mehr als nur Verachtung für mich übrig. Der bewunderte Bewunderer. Man hält recht viel von mir, das spüre ich, und daran ändert auch die Zeit nichts, die vergeht, ohne dass ich etwas Bemerkenswertes leiste. Ich selber habe den Glauben an mich längst verloren. Ich bin mein ärgster Feind. Dem ist so, ich habe nichts hinzuzufügen.
Es muss beim ersten Anlauf klappen, sonst stemple ich mich zum Verlierer ab, zum Amateur-Menschen, ein Dillettant. Was ich nicht auf Anhieb beherrsche, schmeiße ich auf den Müll und überlasse es anderen. Oder ich zerstöre es, damit es niemand anders nutzen kann.
Ich bin ein Wunderkind, nur hat es keiner rausgefunden außer mir. Wenigen fällt es so leicht, gut zu sein, wie es mir leicht fällt. Also muss, wenn ich mir schonmal Mühe gebe bei etwas, ganz Großes dabei herauskommen. Kaum gebe ich mir Mühe, kommt nicht sofort etwas ganz großes dabei raus, es gibt nur die Idee von etwas ganz Großem, und die findet sich im Schaffensprozess nicht wieder, darum hasse ich den Schaffensprozess, es gibt für mich nur Ergebnisse, perfekte Enden, perfekte Enden – deswegen mache ich nie etwas zuende. Kein Stück. Kein nichts. Null. Es gibt nur Anfänge in meinem Leben. Ein angefangenes, verficktes Leben ohne Enden.
Ich habe Angst, ausgeräumt zu werden. Ich lasse mich so leicht ausräumen. Von anderen, die ich nicht ausräumen will. deswegen habe ich Angst vor ihr, denn gegen sie kann ich mich nicht verteidigen. Hab ich ja nie gelernt, mich gegen jemanden zu verteidigen, den ich liebe. Ich mag an ihr nicht ihre Eitelkeit, ihre Arroganz. Und doch ist es genau das, was mir fehlt: ein gewisses Maß an Eigenliebe. An unbedingtem Glauben an mich selbst. Ich bestehe aus der Verpflichtung, mich und mein Leben zu legitimieren gegenüber anderen, die ich einfach so dasein lasse. Nur ich muss beweisen, dass ich ein Recht habe, hierzusein, zwischen ihnen, unter ihnen, die nicht mehr leisten als ich, nicht besser sind. Vielleicht im Gegenteil.
Da meine Erkenntnisse jeden Tag wachsen, verändern sie sich womöglich auch jeden Tag.
Ich könnte einfach aufgeben. Ich halte mich viel an dieser Grenze auf. Aber ich überschreite sie nie ganz, bisher nicht, und ich glaube, so wie sich das zurzeit so anfühlt: erstmal nicht. Das tut gut, das zu sagen. Kann mir nicht vorstellen, dass mir jemand glaubt, wenn ich sage: ich wollte springen. Ich gebe auf. Ich mache nicht mehr weiter. Schluss. Das war’s. Macht, was ihr wollt, ich gehe. Den Scheiß tu ich mir nicht mehr weiter an. Mir? Dem lustigen Cowboy?? Deswegen mache ich alles mit, sage jedem: Ja, mache ich, bloß um nicht Nein sagen zu müssen, denn Nein sagen kann ich nicht. So führe ich nicht mein Leben, sondern erfülle eines, nicht meines, und denke drüber nach, zu springen, denn was soll das, ein Leben erhalten, das nicht demjenigen gehört, der es ja führt? Sinnlos.
Ich bin so wütend, dass es beinahe weh tut. Meine Wangenmuskeln kribbeln, weil ich den ganzen Tag die Kiefer aufeinander presse, als würde jemand versuchen, mir einen Löffel mit Gift in den Mund zu schieben. Um mich herum nur fette, dumme, nutzlose Leute. Ein leerer ICE nach München. Ich bin froh, dass man nicht einfach in einen Laden gehen und eine Knarre kaufen kann in diesem Land. Ich hätte längst ein halbes Dutzend von den Dingern. Und ich würde sie mitnehmen. In die U-Bahn, natürlich, wo all die durchgeknallten Wichser aufeinandertreffen, die keine Kohle haben, um sich ein eigenes Auto zu leisten oder zumindest ein Taxi. Typen, die dauerdrauf sind auf irgendwelcher billigen Scheisse, Typen, deren Eltern so asozial sind, dass man es ihren Kindern nicht einmal richtig übel nehmen kann, was für ein wandernder Haufen Scheisse aus ihnen geworden ist. Typen, die stinken und deren Haut sich auflöst, Typen ohne Ziel und ohne Verstand, Typen, die dauernd nach Respekt schreien, obwohl sie selber keinen haben. Vor niemandem. Am wenigsten vor sich selbst.
Ich kriege es meist nicht direkt ab, dafür codiere ich mein Äusseres noch zu geschickt. Meist sind es andere, denen sie auf die Pelle rücken. Die sie anstarren mit diesem Blick, der sagt: ich werde dir dein kleines Stückchen Glück, das Dir aus Deinen weichen Augen strahlt, aus der Seele reissen, neben Dir auf den Boden werfen und zertreten, wie ein Kind eine dicke Spinne zertritt, vor der es sich fürchtet. Ich werde dir Leid zufügen, weil ich nur so für kurze Zeit vergessen kann, wie scheisse es mir selbst geht. Wie sehr ich mich hasse. Wie wenig ich in meinen eigenen Augen bin. Das einzige, was man noch tun kann, wenn einen dieser Blick trifft, ist: entweder zu laufen; oder aber: zurück zu starren. Mit einer noch krasseren Geschichte in den Augen. Komm her, muss dort zu lesen sein, in schlichten Worten, damit es der Idiot, der einen anstarrt, auch begreifen kann. Komm her und gib mir einen Grund, meine Beherrschung aufzugeben. Du willst das kleine Stückchen Glück aus meinen weichen Augen prügeln? Komm her und hol es Dir. Es gibt bei mir nichts zu holen. Kein kleines Stückchen Glück zum Zertreten. Tu den Schritt, der das Duell eröffnet. Sei mutig. Hol Dir, was Du willst.
Liefer mir den Grund, Dir Deine widerliche Fresse zu Brei zu schlagen, Dir Deine tauben Ohren vom Kopf zu reissen und sie dir in dein stinkendes Maul zu stopfen. Wenn Du Dich mit mir anlegst, kommst Du nicht mit einem gebrochenen Nasenbein davon. Auch nicht mit einem losen Zahn. Starr mich eine Sekunde zu lang an, und ich prügle Dir die Augen aus den Hˆhlen. Du wirst an Deinem Blut und Deiner Zunge ersticken. Und ich werde Dir dabei zusehen. Und wenn einer kommt, um Dir zu helfen, landet er im Gleisbett, vorm Zug, und ich trete ihm vor die Stirn, wenn er versucht, auf den Bahnsteig zu erklimmen. Ich gehe dafür in den Knast, für den Rest meines Lebens. Vielleicht gehe ich drauf dafür. Aber bevor ich mir von einem Stück Dreck wir Dir die Würde und das letzte Stückchen Glück aus meiner Seele prügeln lasse, bringe ich Dich an Ort und Stelle um.
Das muss zu lesen sein in Deinem Blick. Wenn es gut lesbar da steht, verständlich auch für dyslektische Arschlöcher auf Billigdrogen, dann senken sie den Blick. Du musst in diesem Augenblick dran glauben, dran glauben, es zu tun. Du musst Lust dabei empfinden. Das Flackern in Deinem Blick darf nicht zu verwechseln sein mit dem der Angst. Es muss ein Lustflackern sein. Das Gib-mir-Gelegenheit-Flackern. Du musst Blut schmecken in diesem Augenblick. Es herunterschlucken. Du musst wissen, wie es sich anfühlt, mit gebrochenen Händen jemandem die Zähne aus dem Gesicht zu schlagen. Und dieses Wissen muss in deinem Blick sein.
Ich bin ein Lügner, und das ist die Wahrheit. Seit ich denken kann, belüge ich mich selbst. Lebe nach den Regeln anderer, nicht nach meinen eigenen. Gesetze sind eine Sache, sie zu übertreten hat nichts mit persönlicher Freiheit zu tun, jedenfalls nicht, wenn man es von der philosophischen auf die praktische Betrachtungsebene herunterbricht und sich vor Augen führt, was einem im Falle einer solchen – ich nenne es mal: Grundregelübertretung blüht. Der Augenblick der Handlung mag ein freier sein, aber die potentiellen Folgen einer Straftat – Gefängnis, Psychiatrie, Isolation – führen nicht gerade zu einem Dasein, das mir besonders erstrebenswert erscheinen will. Anders hingegen ist es mit sozialen Normen. Sie sind nicht festgelegt, nirgendwo niedergeschrieben, sie sind Auslegungssache eines jeden Einzelnen.
Ich versuche, ein guter Mensch zu sein. Dabei halte ich mich an vorgestellte Normen, Regeln, die ich mir selber setze – auf der Grundlage von Vermutungen, die größtenteils auf unreflektierten Kindheitserfahrungen basieren. Vor allen auf solchen, die es nicht ans Tageslicht geschafft haben, die unausgesprochen blieben; Erfahrungen, die zu wesentlichen Teilen imaginierter Natur sind, weil es kein Gegenüber gab, an dem sie sich manifestierten: sie sind entstanden in meinem kindlichen Verstand. Sie bilden die Grundlage meiner Entscheidungen moralischer Natur. Das Bezugssystem, in dessen Rahmen ich mich selbst entwerfe, mich reguliere, verdächtige und bestrafe, ist unreif wie Camembert aus dem Discounterkühlregal.
Ich funktioniere erstklassig, meiner Meinung nach. Ich erfülle die Rolle des patenten Hausmannes, bleibe gleichzeitig aber dabei, im Stehen pissen zu dürfen, um mich meiner Männlichkeit zu vergewissern, die mir stets in Gefahr zu sein scheint. Im Stehen zu pissen ist kein hinreichendes Mittel, um sich seiner Männlichkeit zu versichern, aber es hilft ein wenig, wo doch in so vielen anderen Bereichen die eigene Männlichkeit so vilefach schwieriger unter Beweis stellen lässt. Was ist männlich? Zigaretten zu rauchen und sie lässig in der Hand zu halten, sie wegschnipsen zu können über eine gewisse Distanz; Bier zu trinken, zu rülpsen und zu furzen, wenn einem danach ist, wenn es raus muss. Zu tun, was zu tu ist, wenn „es“ raus muss – das scheint eine verdächtige Männlichkeitsregel zu sein.
Je mehr ich mich auf diesen von der scheinbaren Kernthematik weit entfernten Gebieten betätige, um mich ersatzweise meiner Männlichkeit zu versichern, umso lächerlicher erscheine ich mir bei genauer Betrachtung selbst. Ich liefere, auf der Grundlage meiner auf mich selbst angewandten Regeln, die Ursachen meiner Selbstverachtung.
Ich würde vermutlich sehr viel öfter vögeln, denke ich, wenn ich offener mit meinem Wunsch, zu vögeln, wen und wann ich nun mal vögeln will, umgehen könnte. Wenn ich nicht davon ausgehen müsste, im tiefsten Inneren meines Herzens, dass es verboten ist. Zu tun, was ich will. Ich bin ein braver Mann, der nach der inneren Freiheit strebt. Anpassung versus Anarchie.
Ich suche nach Geborgenheit, nach Vertrauen, nach Halt in menschlichen Beziehungen, den ich in meiner solipsistisch angehauchten Seele misse. Meine Verunsicherung, meine Angst davor, mein „wahres Ich“ zuzulassen, es zu enttarnen, basiert auf der Annahme, niemanden finden zu können, der mich „so wie ich wirklich bin“, lieben würde, da ich glaube, mich selbst nicht mehr lieben zu können, wenn ich so wäre, „wie ich wirklich bin“. Also tarne ich dieses eigentliche Ich, um geliebt zu werden. Und finde nur Menschen, die mich als der lieben, der ich im Grunde meines Herzens gar nicht bin. Mir selbst und diesen Menschen enthalte ich die Möglichkeit vor, den zu lieben, der ich nun mal bin.
Ich habe das Gefühl, dass ich ein gefälschtes Leben führe, das Leben eines anderen oder, besser gesagt: als lebte ich für jemand anderen, der ich nicht bin. Diese Person existiert nicht, aber ich habe für sie gelebt, und dabei habe ich verpasst, zu werden, wer ich hätte werden sollen. Um nun herauszufinden, wer ich wirklich bin, muss ich mich ausprobieren. Ich muss alte Regeln übertreten, um herauszufinden, ob sie für mich Gültigkeit hatten oder nur für den, der ich sein musste, um den vorgestellten Erwartungen dieser von mir imaginierten Person (meiner Mutter, meinem Vater?) zu entsprechen. Ich will Dich nicht verletzen, ich will Dich nicht aufgeben, ich will Dich nicht verlieren, ich will Dich nicht verlassen – aber ich will auch nicht in dieser Situation verharren. Ich will raus in die Welt und herausfinden, wozu ich imstande bin und wozu nicht. Ich will Risiken eigehen, um die ich bisher herumgeschlichen bin. Aus Angst, den an mich gestellten Erwartungen nicht zu entsprechen.
Ich muss mich neu erfinden, um der zu werden, der ich geworden wäre. Ohne Euch.